Die aktuelle Bedeutung des interkulturellen Ansatzes von
Prof. Dr. Song Du-Yul
Das Missionswissenschaftliche Institut Missio e. V., das sich um die
interkulturelle Forschung in Theologie und Philosophie, insbesondere in der
suedlichen Hemisphare der Erde, sowie um die Forderung des interkulturellen
Dialogs bemueht, hat Prof. Dr. Song Du-Yul aufgrund seiner interkulturellen
Kompetenz um seine Mitarbeit beim Forschungsprojekt zur Entwicklung einer
interkulturellen Philosophie in Asien gebeten.
Prof. Song, gebuertiger suedkoreanischer Staatsbuerger, kam vor 35 Jahren nach
Deutschland, um sein Studium der Philosophie, Soziologie und Wirtschafts- und
Sozialgeschichte fortzusetzen. Nach seiner Promotion 1972 lehrte er an den
Universitaeten in Frankfurt, Heidelberg, Muenster und Berlin. Er habilitierte
1982. Song war Gastprofessor an verschiedenen Universitaeten in den USA und an
der Humboldt-Universitaet Berlin. Zurzeit ist er apl. Professor an der
Universitaet Muenster. Er ist Autor und Herausgeber von neun in deutscher Sprache
und zehn in koreanischer Sprache erschienenen Buechern. Aufgrund seines
Engagements fuer die Demokratie und Menschenrechte waehrend der Militardiktatur in
Suedkorea sowie seiner Bemuehungen um eine Versoehnung zwischen Sued- und Nordkorea
war es ihm 36 Jahre lang nicht moeglich, in seine Heimat zurueckzukehren.
Angesichts der ihm aufgezwungenen Exilsituation ließ er sich 1993 in die
Bundesrepublik einbuergern. Dabei verlor er seine koreanische
Staatsangehoerigkeit.
Prof. Song, der sich selbst als ein "Grenzganger" bezeichnet, widmete sein
ganzes Leben einem aufrichtigen interkulturellen Miteinander ueber kulturelle,
nationale und ideologische Grenzen hinaus. Bei den zahlreichen
wissenschaftlichen und politischen Projekten, die er verwirklichte, scheinen uns
zwei Aspekte von besonderer Bedeutung zu sein:
(1) Die interkulturelle philosophische Verstaendigung zwischen Ost und West
zieht sich wie ein roter Faden durch sein wissenschaftliches (philosophisches,
soziologisches und geschichtliches) Werk. Angefangen mit seiner von Prof. Dr.
Juergen Habermas betreuten Dissertation Die Bedeutung der asiatischen Welt bei
Hegel, Marx und Max Weber (1972) hat er sich immer wieder um diese Verstaendigung
verdient gemacht. Vor allem die Monographien Metamorphosen der Moderne.
Betrachtungen eines Grenzgangers zwischen Asien und Europa (1990) und
Schattierungen der Moderne. Ost-West-Dialoge in Philosophie, Soziologie und
Politik (2002) spiegeln weitere Ergebnisse auf diesem Weg wider.
In diesen Schriften gelingt es ihm, die verborgene, den Europaern und
Europaerinnen nicht leicht zugaengliche Tiefe der asiatischen Welt und des
asiatischen Denkens zu offenbaren, indem er die Bedeutung der Philosophie und
das weitere Erbe der Kultur des Westens wuerdigend interpretiert. Dadurch schafft
er eine Basis fuer einen authentischen, tiefgehenden, keineswegs oberflaechlichen
Ost-West-Dialog. Angesichts der heut-gen Situation, in der der "Kampf der
Kulturen" und das "Ende der Geschichte" die Stichworte der Epoche darstellen,
zeichnet sich seine Arbeit durch eine alternative Vision vom Miteinanderleben
aus. Diese Vision entwickelt er sowohl aus der oestlichen Philosophie (I-Ging,
Laotse, Buddhismus) heraus als auch im Dialog mit den europaeischen Denkern und
Denkerinnen.
Auch seine Mitarbeit an der Zeitschrift <Peripherie. Zeitschrift fur Politik
und Oekonomie in der Dritten Welt>, am Projekt Cultural Identity and Political
Self-Determination in Global Society (Lit-Verlag), sowie am Forschungsinstitut
Dritte Welt / Industrielaender in der Adolf-Reichwein-Gesellschaft (Osnabruck)
ist Ausdruck seiner kompetenten Bemuehungen um eine internationale Verstaendigung.
(2) Er setzte sich mutig fuer eine Versoehnung zwischen Sued- und Nordkorea ein, ein Konfliktherd, der seit fast 60 Jahren auch heute noch vom zugrunde
liegenden System des Kalten Krieges bestimmt wird. Von besonderer Tragweite ist
sein Projekt, ein regulares Dialogforum der Wissenschaftler aus Sued- und
Nordkorea sowie aus dem Ausland zum Thema Frieden und Wiedervereinigung Koreas
in Zusammenarbeit mit den Partnern in Sued- und Nordkorea zu organisieren. 1995
kam die erste Konferenz in Form eines intensiven Workshops in Beijing zustande.
Im Maerz 2003 fand die sechste in Pyongjang statt. Dieses Forum von Experten,
die, ohne auf der Regierungsebene angesiedelt zu sein, gleichwohl einen direkten
Einfluss jeweils auf die suedkoreanische oder nordkoreanische Regierungspolitik
ausueben koennen, ist in diesem Umfang einmalig. Die Ergebnisse der ersten fuenf
Konferenzen (1995-1999) waren wohl die wissenschaftliche Vorbereitung zur
Gemeinsamen Erklaerung des innerkoreanischen Gipfeltreffens vom 15. Juni 2000
gewesen.
Außerordentlich wichtig ist seine Rolle in der heutigen Zeit, in der ein
direkter Kontakt zwischen Sued- und Nordkorea, nicht nur in institutioneller
Hinsicht, kaum moglich ist. Prof. Song hat sich mit beiden Teilen Koreas
intensiv auseinander gesetzt. Er entwickelte methodologisch einen "immanenten
Ansatz" fuer die Forschung Nordkoreas und diskutierte hermeneutische Bedingungen
fuer den Umgang mit dem Anderssein Nordkoreas. Er versteht sich als ein
"ausschließender und einschließender Dritter" und nimmt angesichts der Situation
der "Mauer im Kopf¡° der Dialogpartner, die Jahrzehnte lang jeweils mit dem
Feindbild lebten, die Rolle eines Vermittlers im besten inhaltlichen Sinne wahr.
Seine vermittelnden Bemuehungen um den Frieden in Korea wurden im Jahre 2000 von
der Nutbom Gedenkstiftung in Seoul durch die Verleihung des "Nutbom-Preises fuer
die Wiedervereinigung¡° gewuerdigt.
Sein Engagement fuer die Versoehnung zwischen Sued- und Nordkorea hat jedoch
eine weitere, universale Bedeutung, die sich nicht auf diese Region beschraenken
lasst. Auf einer Grenze stehend, Grenze der gespaltenen Heimat, Grenze zwischen
dem Osten und dem Westen, zwischen dem reichen Norden und dem armen Suden,
zwischen der Tradition und der Moderne, zwischen der Moderne und der Postmoderne
, ist seine Philosophie staendig auf der Suche nach einer Versoehnung bzw. einem
angemessenen Umgang mit der Spannung. Auf die aktuellen Herausforderungen der
Welt seit dem 11. September 2001 versucht er seine Philosophie als Alternative
anzubieten, in der der Andere nicht als Feind gesehen wird. Sein
Selbstverstaendnis als "Grenzgaenger¡° hat ihn nicht in traurige Resignation
gefuehrt. Im Grenzgaengerdasein steckt ein Potenzial, einen "dritten Ort¡° zu
schaffen und von dort aus die Rolle des "exklusiven und inklusiven Dritten"
einzubringen.
Auch die "immanente" Herangehensweise an das Verstehen des Anderen hat eine
Bedeutung, die weit ueber die Problematik der innerkoreanischen Beziehungen
hinausgeht. Es ist ein zentrales Anliegen interkultureller Philosophie, die
Moeglichkeit des ebenbuertigen, freundlichen und friedlichen Miteinanders mit dem
Anderen philosophisch zu begruenden. Dabei spielt der Umgang mit der 'Differenz¡¯
des Anderen eine Schluesselrolle. Die "immanente¡° Annaeherung, die Prof. Song
vorschlagt, ist ein Weg, den Anderen in der Andersheit bzw. seiner Eigenheit bei
bleibender Differenz zu verstehen.
Es ware sehr zu wuenschen, dass Prof. Song auch in Zukunft die Moeglichkeit
hat, seine philosophischen Ansaetze weiterzuentwickeln. Daraus wird gewiss eine
Form von Philosophie entstehen, die in der Zeit der Globalisierung angesichts
der Gefahr des Uniformierungsdranges dringend erforderlich ist.
Missionswissenschaftliches Institut Missio, e. V.
Ich schließe mich der obigen Petition an.
Bremen, den 15. Oktober 2003
(gez.) Prof. Dr. Hans Jorg Sandkuhler, Universitaet Bremen Mitglied des
internationalen Beirates des 18. Mai Institutes der Chonnam Universitaet
Leiter der Abteilung Bremen des UNESCO-Lehrstuhls fur Philosophie (Paris):
Wissenskulturen, Transkulturalitat, Menschenrechte
(gez.) Prof. Dr. Raul Fornet-Betancourt, Universitaet Bremen Herausgeber
von Concordia. Internationale Zeitschrift fur Philosophie
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